Dienstag, 31. Juli 2012

Die wahre Ledigkeit


Die wahre Ledigkeit ist wie ein edles Faß,
das Nektar in sich hat: es hat und weiß nicht was.

Angelus Silesius

(aus dem Cherubinischen Wandersmann)


Sonntag, 29. Juli 2012

Demut als Weg zum Sein

Der Mensch soll sich selbst erniedrigen, und das darf nicht tief genug geschehen, Gott tue es denn.
Und er soll erhöht werden, aber nicht in dem Sinn, als ob das Erniedrigtwerden eines, das Erhöhtwerden  etwas ein anderes sei. Nein, der höchste Punkt der Erhöhung ruht im tiefen Grund der Demut (bzw. des Gedemütigtwerdens) ... Die Höhe und die Tiefe sind eins. Denn je mehr sich einer erniedrigen kann, desto höher ist er. Eben darum sagt unser Herr: Wer der Größte sein will, der werde unter euch der Geringste!
Jenes (Erhöht-)Sein wird nur allein gefunden in diesem (Erniedrigt-) Werden...

All unser Wesen liegt an nichts anderem als in einem Zunichtewerden.

Meister Eckhart



Der Seele wird es nie Nacht



Mich wundert, daß du darfst den Tag so sehr verlangen!
Die Sonn ist meiner Seel noch niemals untergangen.

Angelus Silesius

(aus dem Cherubinischen Wandersmann)



"Der Seele Sonne kennt Zeiten nicht" - Ölmalerei von Juergen Tobegen 

Donnerstag, 26. Juli 2012

Denn allein auf Gott soll der Mensch bauen


Nur darum gestattet der getreue Gott, dass seine Freunde oft in Schwachheit fallen, damit ihnen aller (äußerer) Halt abgehe, an den sie sich anlehnen oder auf den sie sich stützen könnten. Denn für einen liebenden Menschen wäre es eine große Freude, viele und große Dinge zu vollbringen, es sei im Wachen, im Fasten oder in anderen Dingen, in außerordentlichen großen und schwierigen Leistungen...
Doch unsere Werke dienen nicht dazu, dass uns Gott (immer noch) gebe oder tue. Unser Herr will vielmehr, dass seine Freunde davon loskommen. Und darum nimmt er ihnen diesen (falschen) Halt weg, damit allein er ihr einziger Halt sei. Denn er will ihnen Großes geben. Das will er allein aus seiner freien Güte heraus. So soll (allein) er ihr Halt und ihr Trost sein. Sie aber sollen an sich nichts anderes denn ein lauteres Nichts finden und erachten, angesichts all der großen Gaben Gottes.
Denn je entblößter und lediger das Gemüt Gott zuneigt und von ihm dann gehalten wird, desto tiefer wird der Mensch in Gott hineingepflanzt, um so empfänglicher wird er für die wertvollsten Gaben Gottes. Denn allein auf Gott soll der Mensch bauen.

Meister Eckhart


aus Vom Adel der menschlichen Seele, Anaconda Verlag, S. 60

Dienstag, 24. Juli 2012

Man muss noch über Gott

Wo ist mein Aufenthalt? Wo ich und du nicht stehen.
Wo ist mein letztes End, in welches ich soll gehen?
Da, wo man keines findt. Wo soll ich denn nun hin?
Ich muß noch über Gott in eine Wüste ziehn.


Angelus Silesius


(aus dem Cherubinischen Wandersmann)

Montag, 23. Juli 2012

Was die Seele in ihrem Grunde ist, davon weiß niemand etwas.

Ein Meister spricht ein gar schönes Wort, dass etwas gar Heimliches, Verborgenes und sehr Erhabenes in der Seele sei, erhaben über die hervorbrechenden Seelenkräfte wie Vernunft und Wille...
Ein Meister, der allerbesten von der Seele gesprochen hat, sagt, dass alles menschliche Können nicht da hineindringen kann, was die Seele in ihrem Grunde ist. Was die Seele ist, das gehört dem übernatürlichen Erkenntnisvermögen zu. Wir wissen nicht, wo die Seelenkräfte ausgehen und in die Werke einmünden. Wir wissen wohl ein wenig davon, aber dieses Wissen ist gering.
Was die Seele in ihrem Grunde ist, davon weiß niemand etwas. Was man davon wissen kann, das muss übernatürlich sein. Es muss aus Gnaden empfangen werden. Da wirkt Gott(es) Barmherzigkeit.

Meister Eckhart

Sonntag, 22. Juli 2012

Der gute Wille verliert oder vermisst Gott nie

Auch sollst du wissen, dass der gute Wille Gott nicht verlieren kann. Zwar vermisst ihn die Wahrnehmungskraft des Gemüts bisweilen und meint oft, Gott sei fortgegangen.
Was sollst du dann tun? - Im Grunde eben dasselbe, wie wenn du im Zustand des größten Getröstetseins wärst. Dasselbe lerne tun, wenn du im tiefsten Leiden bist. Und verhalte dich in gleicher Weise, wie du dich da verhieltest
Es gibt keinen gleich guten Rat, Gott zu finden, als ihn dort zu finden, wo man Gott verlässt. Und wie dir war, als du ihn zuletzt hattest, ebenso tue nun auch, da du ihn vermisst; dann findest du ihn. Der gute Wille, der verliert oder vermisst Gott nie und nimmer.

Meister Eckhart

aus Vom Adel der menschlichen Seele, Anaconda Verlag, S. 52

Donnerstag, 19. Juli 2012

Das Licht der Herrlichkeit scheint in der Nacht




Das Licht der Herrlichkeit scheint mitten in der Nacht.

 Wer kann es sehn? Ein Herz das Augen hat und wacht.




Angelus Silesius

(aus dem Cherubinischen Wandersmann)

Weißt Du, was Liebe ist?

Der Geliebte sagte zum Freund:
weißt Du, was Liebe ist?
Der Freund antwortete:
wüsste ich nicht, was Liebe ist,
würde ich Leid, Trauer und Schmerz kennen?

Ramon Llull 

Montag, 16. Juli 2012

Liebe ist die Kraft Gottes im Menschen


"Liebe ist  die nach außen strömende Kraft 
der Seele, 
des Gottes im Menschen." 




N. Sri Ram




Quelle: http://philosophie-zitate.blogspot.com/

Sonntag, 15. Juli 2012

Denn alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt

In kurzem werdet ihr mich nicht mehr sehen, und wiederum in kurzem werdet ihr mich sehen, denn ich gehe zum Vater. Da sprachen etliche seiner Jünger zueinander: Was bedeutet das, dass er sagt: In kurzem werdet ihr mich nicht mehr sehen, und wiederum in kurzem werdet ihr mich sehen, und: Ich gehe zum Vater? Sie fragten nämlich: Was bedeutet das, dass er sagt: In kurzem? Wir wissen nicht, was er redet! Jesus merkte, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Ihr befraget einander darüber, dass ich gesagt habe: In kurzem sehet ihr mich nicht mehr, und wiederum in kurzem werdet ihr mich sehen? 

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, ihr werdet weinen und wehklagen, aber die Welt wird sich freuen, ihr aber werdet trauern; doch eure Traurigkeit soll in Freude verwandelt werden. Wenn eine Frau gebiert, so hat sie Traurigkeit, weil ihre Stunde gekommen ist; wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst, um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt geboren ist. So habt auch ihr nun Traurigkeit; ich werde euch aber wiedersehen, und dann wird euer Herz sich freuen, und niemand wird eure Freude von euch nehmen. Und an jenem Tage werdet ihr mich gar nichts fragen.

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, was irgend ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, er wird es euch geben! Bis jetzt habt ihr gar nichts in meinem Namen gebeten; bittet, so werdet ihr nehmen, auf daß eure Freude völlig werde! Solches habe ich euch in Gleichnissen gesagt; es kommt aber die Stunde, da ich nicht mehr in Gleichnissen zu euch reden, sondern euch offen vom Vater Kunde geben werde. An jenem Tage werdet ihr in meinem Namen bitten, und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten wolle; denn der Vater selbst hat euch lieb, weil ihr mich liebet und glaubet, dass ich von Gott ausgegangen bin.
Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; wiederum verlasse ich die Welt und gehe zum Vater. Da sagen seine Jünger: Siehe, jetzt redest du offen und brauchst kein Gleichnis! Jetzt wissen wir, dass du alles weißt und nicht nötig hast, dass dich jemand frage; darum glauben wir, dass du von Gott ausgegangen bist!  Jesus antwortete ihnen: Jetzt glaubet ihr? Siehe, es kommt die Stunde, und sie ist schon da, wo ihr euch zerstreuen werdet, ein jeglicher in das Seine, und mich allein lasset; aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir. Solches habe ich zu euch geredet, auf dass ihr in mir Frieden habet. In der Welt habt ihr Trübsal; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden!
Johannes, 16. Kapitel Vers 16-33 – Schlachter Bibel 1951

Denn alles, was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt. 
(1.Johannes 5,4). 

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Samstag, 14. Juli 2012

In dir ist meine Heilung und mein Leiden


Der Freund sprach zu seinem Geliebten: In dir ist meine Heilung und mein Leiden. Und je mehr du mich heilst, desto mehr wächst mein Leiden; und je mehr ich um deinetwillen leide, desto größere Heilung gibst du mir. Der Geliebte antwortete: Deine Liebe ist das Siegel und der Stempel, womit du meine Ehre vor den Leuten bezeugst.



Ramon Llull

(aus  dem Buch vom Freunde und vom Geliebten, Abschnitt 51)



Göttliche Armut

Gott ist das ärmste Ding, er steht ganz bloß und frei:
Drum sag ich recht und wohl, dass Armut göttlich sei.

Angelus Silesius

(aus dem Cherubinischen Wandersmann)

Donnerstag, 12. Juli 2012

Ich liebe Dich, egal ob du mir Leiden oder Freuden gibst


Der Geliebte fragte seinen Freund: 
Erinnerst du dich an irgend etwas, 
was ich dir gab, wofür du mich liebst? 
Er antwortete: 
ja, denn ich mache zwischen den Leiden und den Freuden, 
die du mir gibst, keinen Unterschied.

Ramon Llull

(aus  dem Buch vom Freunde und vom Geliebten, Abschnitt 8)




Quelle: http://www.hoye.de/ma/lulltxt.pdf



Mittwoch, 11. Juli 2012

Ich selbst muss Sonne sein



Ich selbst muss Sonne sein, 
ich muss mit meinen Strahlen
das farbenlose Meer der ganzen Gottheit malen.

Angelus Silesius

(aus dem Cherubinischen Wandersmann)

Niemals habe ich aufgehört, dich zu lieben


Der Freund sagte zum Geliebten: 
Niemals bin ich dir ausgewichen, noch habe ich aufgehört, dich zu lieben, seit ich dich kenne, denn in dir und durch dich und mit dir war ich, wo immer ich mich aufhielt. 
Der Geliebte antwortete: Auch ich habe dich nie vergessen, seit du mich kennen- und liebengelernt hast, noch habe ich dich je betrogen oder getäuscht.

Ramon Llull

((Das Buch vom Freunde und dem Geliebten: Abschnitt 53)




Du bist nicht fern

Du bist nicht fern. Ich brauche Dich nicht in fernen Ländern oder in entlegenen Bezirken meiner Seele zu suchen. Du bist hier und in jedem Menschen, sollte er auch  ohne jegliche Erinnerung an Dich leben, kann ich den Weg finden, der zu Dir führt.




Tu non sei lontano, non debbo cercarTi  in paesi lontani o in zone nascoste della mia anima.Tu sei qui e in ogni fratello, anche se vive  immemore di Te, posso trovare la strada che conduce a Te.





Fragmenta 
Liebeslied/Mai2005
© 

Freitag, 6. Juli 2012

Eines Tages werde ich diesen Mantel ablegen...


Eines Tages werde ich diesen Mantel ablegen, der auf meinen fragilen Schultern lastet,  und mich in Deinen geliebten Armen wieder finden, wo jedes Wort schweigt und nur Dein Hauch  meinen Geist liebkosend berühren wird, gänzlich in Dir verschmolzen.


Un giorno, lascerò questo mantello che grava sulle mie fragili spalle e mi raccoglierò nelle Tue amate braccia, dove ogni parola tace e solo il Tuo respiro, come una carezza, sfiorerà d’amore il mio spirito, perfettamente a Te unito.


Fragmenta 
Liebeslied/Mai2005
© 

Donnerstag, 5. Juli 2012

Der Himmel ist in dir



Halt an, wo läufst du hin? 
der Himmel ist in dir;
Suchst du Gott anderswo,
du fehlst ihn für und für.


Angelus Silesius

(Aus dem Cherubinischen Wandersmann)

Mittwoch, 4. Juli 2012

Du bist mein Sonnenschein


Ich nah mich, Herr, zu dir
als meinem Sonnenschein,
Der mich erleuchtet, erwärmt
und macht lebendig sein.
Nahst du dich wiederum
zu mir als deiner Erden,
So wird mein Herze bald
zum schönsten Frühling werden.


      Angelus Silesius

      (aus dem Cherubinischen Wandersmann)


 Foto: © designritter /photocase.com



Ich selbst bin Ewigkeit


Ich selbst bin Ewigkeit,
wenn ich die Zeit verlasse
und mich in Gott
und Gott in mich zusammenfasse.
                                      
Angelus Silesius

(aus dem Cherubinischen Wandersmann)

Dienstag, 3. Juli 2012

Die Weisheit und die Liebe



Die Weisheit schauet Gott,
die Liebe küsset ihn;
Ach dass ich nicht voll Lieb
und voller Weisheit bin.



Angelus Silesius


(aus dem Cherubinischen Wandersmann)

Montag, 2. Juli 2012

Was zu Gott kommt, das wird verwandelt

Was immer zu Gott kommt,
das wird verwandelt;
so geringwertig es auch sei,
wenn wir es zu Gott bringen,
so entfällt es sich selbst.


Meister Eckhart


Quelle : Meister Eckart, Vom Adel der menschlichen Seele, Anaconda Verlag, S.28

Von der Armut des Geistes (3)



Zum Dritten ist der ein armer Mensch, der nichts hat. Viele Menschen haben gesagt, das sei Vollkommenheit, dass man nichts von den leiblichen Dingen dieser Erde hat, und das ist in einem gewissen Sinne schon wahr, wenn einer es mit Willen tut. Aber dies ist nicht der Sinn, den ich meine.
Ich habe vorhin gesagt, der sei ein armer Mensch, der nicht den Willen Gottes erfüllen will, sondern so leben will, dass er seines eigenen Willens und des Willens Gottes so entledigt sei, wie er war, als er nicht war. Von dieser Armut sagen wir, dass sie die ursprünglichste Armut sei. Zweitens sagen wir, das sei ein armer Mensch, der die Werke Gottes in sich selber nicht kennt. Wer so des Wissens und Erkennens ledig steht, wie Gott aller Dinge ledig steht, das ist die offenbarste Armut. Aber die dritte Armut, von der ich sprechen will, das ist die tiefste, nämlich, dass der Mensch nichts hat.

Ich habe oft gesagt, und es sagen es auch große Meister, der Mensch solle von allen Dingen und allen Werken, sowohl innerlich wie äußerlich, so abgelöst sein, dass er eine Eigenstätte Gottes sein könne, worin Gott wirken könne. Jetzt aber künden wir es anders.
Steht die Sache so, dass der Mensch von allen Dingen abgelöst steht, von allen Kreaturen, von sich selbst und von Gott, und Gott findet in ihm eine Stätte, darin zu wirken, so sagen wir:  Solange das in dem Menschen ist, ist der Mensch nicht arm in der tiefsten Armut, denn  Gott  ist nicht der Meinung [denn es ist nicht das Ziel Gottes] mit seinen Werken, der Mensch solle eine Stätte in sich haben, worin Gott wirken könne. Das ist Armut des Geistes: dass der Mensch von Gott und allen seinen Werken so abgelöst steht, dass Gott, wenn er in der Seele wirken will, selbst die Stätte sei, worin er wirken will, und das tut er gerne. Denn findet Gott den Menschen so arm, so wird Gott die eigene Stätte seiner eigenen Werke, weil Gott in sich selbst wirkt.
Da erlangt der Mensch in dieser Armut das ewige Wesen, das er gewesen ist und das er jetzt ist und das er in Ewigkeit leben soll.
Daher sagen wir, wo der Mensch noch eine solche Stätte behält, dort hält er am Unterschied fest. Darum also bitte ich Gott, dass er mich ablöse von Gott, da mein wesentliches Wesen oberhalb Gottes steht, sofern wir Gott begreifen als den Ursprung der Geschöpfe. Denn in dem selben Wesen Gottes, aufgrund dessen Gott oberhalb von Sein und Unterschied steht, da war ich selbst. Und dort wollte ich mich selbst und dort erkannte ich mich selbst als den, der diesen Menschen schuf.(1)
Und darum bin ich geboren und kann nach der Weise meiner Geburt, die ewig ist, niemals ersterben. Nach der Weise meiner ewigen Geburt bin ich ewiglich gewesen und bin jetzt und soll ewiglich bleiben. Was ich nach der Zeit bin, das soll sterben und soll zunichte werden, denn es ist des Tages; darum muss es mit der Zeit verderben. In meiner Geburt wurden alle Dinge geboren, und ich war Ursache meiner selbst und aller Dinge, und wollte ich, so wäre ich nicht noch alle Dinge, und wäre ich nicht, so wäre Gott nicht. Es ist nicht nötig, dies zu verstehen.
Ein großer Meister sagt, sein Münden sei höher als sein Entspringen. Als ich aus Gott entsprang, da sprachen alle Dinge: Gott ist da. Nun kann mich das nicht selig machen, denn hier erkenne ich als Kreatur; dagegen in dem Münden, wo ich ledig stehe des Willens Gottes und aller seiner Werke und Gottes selbst, da bin ich über allen Kreaturen und bin weder Gott noch Kreatur, sondern ich bin, was ich war und was ich bleiben soll jetzt und immerdar. Da erhalte ich einen Ruck,  der mich über alle Engel schwingen soll.
Von diesem Ruck empfange ich so reiche Fülle, dass mir Gott nicht genug sein kann mit alledem, was er Gott ist, mit all seinen göttlichen Werken, denn mir wird in diesem Münden zuteil, dass ich und Gott eins sind. Da bin ich, was ich war, und da nehme ich weder ab noch zu, denn ich bin da eine unbewegliche Ursache, die alle Dinge bewegt. Hier findet Gott keine Stätte im Menschen, denn der Mensch erlangt mit seiner Armut, was er ewiglich gewesen ist und immer bleiben soll. Hier ist Gott im Geist eins, und das ist die tiefste Armut, die man finden kann.



Wer diese Rede nicht versteht, der bekümmere sein Herz nicht damit. Denn solange der Mensch dieser Wahrheit nicht gleicht, so lange wird er diese Rede nicht verstehen, denn es ist eine Wahrheit, die nicht ausgedacht ist, sondern unmittelbar gekommen aus dem Herzen Gottes. Dass wir so leben mögen, dass wir es ewig empfinden, das walte Gott. Amen.



Meister Eckhart


Quelle:  Meister Eckarts Mystische Schriften, hrsg. von Gustav Landauer,1903 http://www.marschler.at/eckhart-landauer/meister-eckhart-mystische-schriften.pdf


(1) Abschnitt in der Übersetzung von Kurt Flasch



Sonntag, 1. Juli 2012

Warum hat Dich der Mensch so vergessen?


Der Freund begegnete seinem Geliebten und sah ihn sehr edel, mächtig und aller Ehren würdig. Und er sagte zu ihm, er wundere sich sehr über die Leute, die ihn sowenig liebten, kannten und ehrten, da er dessen doch so würdig sei. Und der Geliebte antwortete und sprach, er sei sehr enttäuscht worden vom Menschen, den er erschaffen habe, um von ihm geliebt, gekannt und geehrt zu werden. Und von tausend Menschen fürchteten und liebten ihn nur hundert; und von den hundert fürchteten ihn neunzig aus Furcht vor Strafe, und zehn liebten ihn, damit er ihnen ewigen Lohn schenke. Kaum einer liebe ihn, weil er gut und edel sei. Als der Freund diese Worte hörte, weinte er bitterlich, weil man seinem Geliebten die Ehre verweigerte, und sagte: Geliebter, der du dem Menschen soviel gegeben und ihn so geehrt hast, warum hat dich der Mensch so vergessen?

Ramon Llull

(Das Buch vom Freund und vom Geliebten, Abschnitt 211)