Donnerstag, 24. Oktober 2013

Gott lässt sich nur von der Liebe fassen


Jetzt wirst du mich fragen: "Wie soll ich an Ihn denken, und was ist Er?" Darauf kann ich dir nur antworten: Ich weiß es auch nicht. Denn du hast mich mit deiner Frage in die gleiche Dunkelheit und in die gleiche Wolke des Nichtwissens versetzt, in der ich dich selbst gern sähe. Denn alle anderen Geschöpfe und ihre Werke ja sogar die Werke Gottes selbst kann man durch Gnade zur Gänze erkennen, und es ist gut möglich, sich mit ihnen in Gedanken zu beschäftigen. Aber Gott selbst kann kein Mensch gedanklich erfassen. Und daher will ich alles, was ich denken kann, hinter mir lassen und zum Gegenstand meiner Liebe das erwählen, das nicht gedacht werden kann. Denn Gott kann wohl geliebt, aber nicht gedacht werden. Von der Liebe lässt er sich fassen und halten, vom Intellekt jedoch nicht. Und wenn es darum auch zuweilen gut ist, an die Güte und Erhabenheit Gottes im besonderen zu denken und wenn das auch den Geist erleuchtet und einen Teil der mystischen Kontemplation bildet, müssen doch solche Gedanken bei diesem Werk abgeworfen und mit einer Wolke des Vergessens bedeckt werden. Sodann musst du mit festem, freudigem Schritt über sie emporsteigen und mit einer innigen und süßen Liebesregung versuchen, das Dunkel, das über dir ist, zu durchdringen. Bohre den spitzen Speer der sehnenden Liebe in diese dichte Wolke, und lass nicht davon ab, was immer geschehen mag.


Die Wolke des Nichtwissens  (Kapitel 6)
(Ende des 14. Jahrhunderts)



Freitag, 18. Oktober 2013

Das wahre Licht





Gott ist das wahre Licht, du hast sonst nichts als Glast,
im Falle du nicht ihn, das Licht der Lichter, hast. 


Angelus Silesius

(Cherubinischer Wandersmann, Band II, 7)

Bild: Die Alexanderschlacht (Detail), Gemälde des Malers A. Altdorfer

Sonntag, 13. Oktober 2013

Der mystische Zustand


So beschreibt Simone Weil den mystischen Zustand in den Upanishaden:
"Dies ist der Zustand der jenseits allen Wünschens ist, der das Böse beseitigt, in dem keine Frucht ist. Wie jener, der von einer geliebten Frau umschlungen wird, nichts mehr erkennt, was immer es auch sei, außen oder innen, so erkennt auch der Geist, vom geistigen Atman umschlungen, nichts mehr, was immer es auch sei, außen oder innen. Dies ist der Zustand, in dem das Verlangen erfüllt ist, in dem man nur nach dem Atman verlangt, in dem nicht verlangt; der Zustand, der jenseits des Leidens ist. Hier ist der Vater nicht der Vater, ist die Mutter nicht die Mutter, sind die Welten nicht Welten, sind die Götter nicht Götter, sind die Veden nicht Veden. Hier ist der Dieb nicht Dieb, ist der Abtreiber nicht Abtreiber, ist der Asket nicht Asket. Ihm folgt nicht das Gute, ihm folgt nicht das Böse. Er ist so jenseits aller Leiden des Herzens. Dieses Wesen, das nicht sieht, ist ein Seher, der nicht sieht...Dieses Wesen, das nicht erkennt, ist ein Erkennen, der nicht erkennt…
Da, wo etwas anderes ist, da kann das eine das andere sehen, das andere spüren, das andere schmecken, das andere sagen, das andere hören, das andere vorstellen, das andere berühren, das andere erkennen. Zwischen den Wassern ist ein einziges Wesen, ein Seher ohne Gegenstand, das ist die Welt des Brahman. Das ist der höchste Weg, die höchste Welt, die höchste Glückseligkeit. Die anderen Wesen leben von einem Körnchen dieser Glückseligkeit"
Simone Weil (1909-1943)
Cahiers/Aufzeichnungen (1. Band)
zitiert nach: Wolfgang W.Müller, Simone Weil: theologische Splitter, Theologischer Verlag Zürich, S. 108-109

Wer kann die Freude der Gemeinschaft mit Gott verstehen?



Wie ein kleines Kind keine Verständnisfähigkeit für die Freude der ehelichen Vereinigung hat, so kann sich ein Weltling keinen Begriff machen von der ekstatischen Freude der Gemeinschaft mit Gott.

Ramakrishna

Donnerstag, 3. Oktober 2013

Das Königreich ist in euch


Jesus sprach: 

"Wenn die, die euch führen, euch sagen: Seht, das Königreich ist im Himmel, so werden die Vögel des Himmels euch vorangehen. 
Wenn sie euch sagen: es ist im Meer, so werden die Fische euch vorangehen. 
Aber das Königreich ist in euch, und es ist außerhalb von euch.
Wenn ihr euch erkennen werdet, dann werdet ihr erkannt, und ihr werdet wissen, dass ihr die Söhne des lebendigen Vaters seid. Aber wenn ihr euch nicht erkennt, dann seid ihr in der Armut, und ihr seid die Armut."


aus dem Evangelium nach Thomas



Dienstag, 1. Oktober 2013

Gott ist die Fülle von allem und der Verzicht auf alles


Gott ist die Fülle von allem und der Verzicht auf alles; die Jenseitigkeit selbst, über der alles umschlossen liegt; kein Sein und Nichtsein kann Ihn treffen und Ja und Nein erreichen Ihn nicht…
Er ist auch nicht Wissen, nicht Wahrheit, nicht Herrschaft, nicht Weisheit, nicht die Eins oder die Einheit oder Göttlichkeit oder Güte oder Schönheit oder Geist in dem Sinne, in welchem wir Menschen  es begreifen könnten. Er ist nicht Vaterschaft, nicht Kindhaft, nichts was sich mit irgendetwas Bekanntem oder Erfahrenem irgendeines lesbaren Wesens vergleichen ließe. Er ist nichts von dem, was dem Nichtsein angehört, aber auch nichts von dem, was dem Sein angehören könnte.
Und so kann niemand erkennen, so wie Er ist, aber auch Er, als der Unendliche schlechthin, kennt uns nicht: Er kann das Endliche nicht als ein bloß Endliches hinnehmen, denn such dies wäre schon Verzicht auf Unendlichkeit. So entzieht Er sich unserem denken, Rufen, Wissen, ist auch nicht Dünken, auch nicht Helle, nicht Irrtum oder Wahrheit; man kann Ihm nichts zusprechen vor anderen, nichts absprechen vor anderen, nichts anvertrauen und nichts ableugnen - denn wenn wir Ihm in Endlichen Grenzen setzen, durch Zuspruch oder durch Leugnung, muten wir Ihm Beschränkungen zu, die an Ihn niemals heranreichen können.


Dionysius Areopagita ( 6. Jhr.)