Sonntag, 29. September 2013

Selbstvergessenheit und Gotteserfahrung


Der Mensch sollte allen Sinnen entweichen und all seine Kräfte nach innen kehren und in ein Vergessen aller Dinge und seiner selber kommen. In diesem Sinne sprach ein Meister zur Seele: Zieh dich zurück von der Unruhe äußerer Werke, flieh also, und verbirg dich vor dem Gestürm äußerer Werke und inwendiger Gedanken, sie schaffen nur Unfrieden. Aber wenn Gott sein Wort in der Seele sprechen soll, muss sie in Friede und Ruhe sein, und dann spricht er sein Wort und sich selbst in der Seele, nicht ein Bild, sondern sich selbst. 


Meister Eckhart

(aus: Meister Eckharts mystische Schriften, übertragen von Gustav Landauer. Predigt "Vom Schweigen")

Gott ergreift man nicht


Gott ist ein lauter Nichts, ihn rührt kein Nun noch Hier:

Je mehr du nach ihm greifst, je mehr entwird er dir.


Angelus Silesius

(Cherubinischer Wandersmann, 1.Buch, 25)

Suche nichts als ein reines Entsinken in das verborgene Gut


Suche nichts als ein reines, einfaches Entsinken 
in das reine, einfache,unbekannte, namenlose, 
verborgene Gut, das Gott ist, 
und in alles, was sich in ihm enthüllen mag. 

Alles soll sich an sein Nichts halten:
Nichts wissen, nichts erkennen, nichts wollen, 
nichts suchen, nichts haben wollen.

Suche weder Empfindung noch Erleuchtung! 
Entsinke in dein Nicht-wissen
und Nicht-wissen-wollen!

Die Tiefe, die in Gott ist,
ist ein solcher Abgrund,
dass aller geschaffene Verstand 
sie nicht zu erreichen 
noch zu ergründen vermag.

Dieser Tiefe soll der Mensch begegnen
mit der eigenen Tiefe:
das ist, dem grundlosen Abgrund 
einer unergründlichen Selbstvernichtung.

Das heißt: könnte er ganz 
zu einem lauteren Nichts werden, 
das hielte er für recht und billig.

Das kommt aus der Tiefe
und der Erkenntnis seines Nichts.


Johannes Tauler


Donnerstag, 26. September 2013

Gott ist die erste Ursache aller Dinge


Gott ist die erste Ursache aller Dinge
denn die beschränkten Dinge, wie alles, was wir sehen und erfahren, sind zufällig und besitzen nichts, was ihnen notwendige Existenz verleiht; ist es doch offenbar, dass Zeit, Raum und Materie, an sich einheitlich und gleichförmig und gegen alles gleichgültig, andere Bewegungen und Gestalten in anderer Anordnung erhalten konnten. Es gilt also, den Grund für die Existenz der Welt, als den Zusammenschluss aller zufälligen Dinge, aufzusuchen, und zwar in der Substanz, die den Grund ihrer Existenz in sich selbst trägt und die darum notwendig und ewig ist.

Gottfried Wilhelm Freiherr von Leibniz 
(1646 - 1716) 



Der Herr ist auf meinem Haupte wie ein Kranz







Der Herr ist auf meinem Haupte wie ein Kranz, 
und nicht werde ich von ihm weichen. 
Geflochten ist mir der wahre Kranz, 
und er hat Deine Zweige in mir aufsprießen lassen. 
Denn er gleichet nicht einem vertrockneten Kranz, 
der nicht aufsprießt, 
sondern Du bist lebendig auf meinem Haupte, 
und Du bist mir entsprossen.
Deine Früchte sind voll und vollkommen (reif), 
angefüllt mit Deinem Heile ....



Oden Salomos  (1. Ode)


aus: "Ein jüdisches-christliches Psalmbuch aus dem 1. Jahrhundert", Leipzig 1910

Ein Verweis zu den Oden Salomos 

Foto: Sahasrara © kamelienyoga.com




Dienstag, 24. September 2013

Reden und Schweigen ( 2 )


Einmal sagte Abbas Poimen: 
"Da ist ein Mensch, der scheint zu schweigen, aber sein Herz urteilt und verurteilt andere. Ein solcher redet in Wirklichkeit ununterbrochen. Und da ist ein anderer, der redet von der Frühe bis zum Abend, und doch bewahrt er selbst das Schweigen, das heißt, er redet nichts Nutzloses."



Apophthegmata Patrum

(Sammlung von kurzen Aussagen, die von den ersten christlichen Mönchen Ägyptens, den sogenannten Wüstenvätern, stammen. Die meisten Sprüche wurden im 4. und 5. Jahrhundert verfasst)

Reden und Schweigen


Ein Bruder fragte den Altvater Poimen: "Ist Reden besser als Schweigen?" Der Greis antwortete ihm: "Wer Gottes wegen redet, tut gut daran, wer Gottes wegen schweigt, tut ebenso gut."



Apophthegmata Patrum

(Sammlung von kurzen Aussagen, die von den ersten christlichen Mönchen Ägyptens, den sogenannten Wüstenvätern, stammen. Die meisten Sprüche wurden im 4. und 5. Jahrhundert verfasst)

Samstag, 21. September 2013

Du, o Wahrheit, bist das ewige Licht, das mich erleuchtet


Du, o Wahrheit, bist das ewige Licht, das mich erleuchtet, so dass ich sehe, was da ist und wie es zu werten ist. Ich vernehme gar wohl, wie Du mich lehrtest, wie Du mir gebotest. Oftmals tue ich es, und immer ist's mir Freude; und so oft ich kann, fliehe ich aus dem Zwang und Wirrwarr der Geschäfte zu dieser Freude, mir die Seele zu erquicken. In allem, was ich suchend durchlief, fand ich für meine Seele keinen sichreren Ort als in Dir, der Du zu sammeln weißt, was ich zerstreute. Manchmal fährst Du meine Seele in ein unfaßbares Meer der rätselvollsten Wonnen tief drinnen in meinem Innern. Und wann immer ich an dieser Wonne teilhatte, spürte ich, dass ihr vollkommener Besitz alle Freuden des Erdenlebens weit übersteigt. 

Augustinus von Hippo

(Bekenntnisse, 10.Buch, 40.Kapitel)

Freitag, 20. September 2013

Verbirg nicht vor mir Dein Antlitz


Sage mir, o mein Herr und mein Gott, um deiner erbarmenden Liebe willen, was du mir bist. Sprich zu meiner Seele: Ich bin deine Hilfe. So sprich, auf dass ich dich hören kann. Siehe meines Herzens Ohr lauschend vor dir; erschließe es, o Herr, und sprich zu meiner Seele: Ich bin deine Hilfe
Betend will ich folgen dieser Stimme und dich ergreifen. 
Verbirg dein Angesicht nicht vor mir!


Augustinus von Hippo


(Bekenntnisse, 1.Buch, 5.Kapitel)

Samstag, 14. September 2013

Ich bin leichter zu erlangen


Ich bin leichter zu erlangen als irgendetwas. 
Kein Faden und kein Splitter, nichts ist so klein und so gering, 
dass man es mit einem Willensakt an sich ziehen könnte. 
Mich aber kann der Mensch mit seinem bloßen Willen an sich ziehen.


 Mechthild von Hackeborn


(Worte Jesu an Mechthild von Hackeborn)
aus: "Das Buch der besonderen Gnade"

Liebesgespräch zwischen der Seele und Gott


Die Seele spricht zu Gott: 

Herr, du bist die Sonne für alle Augen, 
du bist die Lust für alle Ohren,
du bist die Stimme aller Worte, 
du bist die Kraft aller Tüchtigkeit, 
du bist die Lehre aller Weisheit, 
du bist das Lebende in allen Lebewesen, 
du bist die Ordnung in allem, was ist. 

Gott spricht zur Seele: 

Du bist ein Licht vor meinen Augen, 
du bist eine Harfe vor meinen Ohren, 
du bist ein Klang für meine Worte, 
du bist der Gedanke meiner Unternehmungen, 
du bist das Erfreuliche in meinem Leben, 
du bist das Lob in meinem Wesen.


Mechthild von Magdeburg

Das fließende Licht der Gottheit, Buch III


Wir loben dich, Herr!


Wir loben dich Herr, dass du uns gesucht hast in deiner Demut. 
Wir loben dich Herr, dass du uns behalten hast in deiner Barmherzigkeit. 
Wir loben dich Herr, dass du uns geehrt hast mit deinem Leiden und deiner Schmach. 
Wir loben dich Herr, dass du uns erquickt hast in deiner Güte. 
Wir loben dich Herr, dass du uns geordnet hast in deiner Weisheit. 
Wir loben dich Herr, dass du uns beschirmt hast mit deiner Macht. 
Wir loben dich Herr, dass du uns geheiligt hast durch deinen Adel. 
Wir loben dich Herr, dass du uns erleuchtet hast in deiner Vertraulichkeit. 
Wir loben dich Herr, dass du uns erhöht hast in deiner Liebe über alle Kreaturen. 


Mechthild von Magdeburg

In deiner Liebe erschaffe mich neu!




„O göttliche Liebe, die mich erschuf:
 In deiner Liebe erschaffe mich neu“


Gertrud von Helfta

Exercitia spiritualia, 5. Übung



Herr, mach mich zu einer Schale



Herr, 
mach mich zu einer Schale, 
offen zum Nehmen, 
offen zum Geben,
offen zum Beschenktwerden,
offen zum Bestohlenwerden.

Herr,
mach mich zu einer Schale 
für dich,
aus der du etwas nehmen kannst, 
in die du etwas hineinlegen kannst. 

Wirst Du bei mir etwas finden,
was Du nehmen könntest?
Bin ich wertvoll genug,
sodass Du in mich etwas hineinlegen wirst?

Herr, mach mich zu einer Schale 
für meine Mitmenschen, 
offen für die Liebe, für das Schöne, 
das sie verschenken wollen; 
offen für ihre Sorgen und Nöte,
offen für ihre traurigen Augen
und ängstliche Blicke,
die von mir etwas fordern.

Herr, mach mich zu einer Schale.


Gebet der Töpfer in Taizé