Sonntag, 4. November 2012

Ich warte nur auf die Liebe



                                    Ich warte nur auf die Liebe, 
um endlich mich in seine Hände aufzugeben. 
Deshalb bin ich so spät, und deshalb 
bin ich schuldig so vieler Lücken.

Sie kommen mit ihren Gesetzen und Regeln, 
um mich zu binden, 
doch ich entschlüpfe ihnen immer wieder, 
denn ich warte nur auf die Liebe, 
um endlich mich in seine Hände aufzugeben.

Die Leute tadeln mich, 
nennen mich unbedacht, 
ich zweifle nicht, sie haben 
Recht zum Tadel.

Der Markttag ist vorüber, 
alle Arbeit ist getan für die Geschäftigen. 
Die da kamen umsonst mich zu rufen, 
gingen voll Zorn. 
Ich aber warte nur auf die Liebe, 
um endlich mich in seine Hände aufzugeben. 


Rabindranath Tagore

aus Gitanjali


Deutsche Nachdichtung von Marie Luise Gothein [1863-1931]

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