Donnerstag, 8. November 2012

Du führtest zu Freunden mich...



Du führtest zu Freunden mich, 

die ich nicht kannte.
Du wiesest den Sitz mir im Hause,
das nicht mein eigen.
Du brachtest das Ferne mir nah
und machtest mich Bruder dem Fremden.

Mein Herz ist voll Unruh,
wenn ich verlassen muss 
das vertraute Obdach,
und ich vergesse,
dass altes immer im neuen wohnt,
dass auch du dort wohnst.

Durch Geburt und Tod, in dieser Welt
oder in andern,
wohin du mich führst,
du bist es, derselbe, der ein Gefährte
des endlosen Lebens,
der immer mein Herz
mit den Banden der Freude
dem Ungewohnten verbindet.

Dem, der dich kennt, ist nichts mehr fremd,
keine Tür ist verschlossen.
O, gewähr dies Gebet mir,
dass ich nie den Segen verliere,
das Eine zu fassen
im Spiele der Vielen.



Rabindranath Tagore

aus Gitanjali


Deutsche Nachdichtung von Marie Luise Gothein [1863-1931]

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen