Samstag, 26. Januar 2013

Ich lebe in der Hoffnung ihn zu treffen




Das Lied, das ich kam zu singen,
bleibt ungesungen bis auf diesen Tag.

Ich brachte meine Tage hin, mein Instrument 
zu  stimmen und umzustimmen.
Der Takt kam nicht aus, die Worte
sind nicht recht gesetzt, nur eine Pein
des Wünschens ist im Herzen.

Die Blüte hat sich nicht geöffnet, nur
der Wind seufzt vorüber.

Ich habe sein Angesicht nicht gesehn,
nicht gelauscht seiner Stimme; nur seinen
leisen Fußtritt hab ich gehört auf der
Straße vor meinem Hause.

Der lange Tag verging damit, ihm den
Sitz am Boden zu breiten, die Lampe
aber ist noch nicht entzündet, ich kann
ihn nicht in mein Haus bitten.

Ich lebe in der Hoffnung ihn zu treffen,
doch dieses Treffen ist noch nicht.



Rabindranath Tagore

aus Gitanjali (Lied 13)

in der Nachdichtung von Marie Luise Gothein, 1914




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