Sonntag, 13. Oktober 2013

Der mystische Zustand


So beschreibt Simone Weil den mystischen Zustand in den Upanishaden:
"Dies ist der Zustand der jenseits allen Wünschens ist, der das Böse beseitigt, in dem keine Frucht ist. Wie jener, der von einer geliebten Frau umschlungen wird, nichts mehr erkennt, was immer es auch sei, außen oder innen, so erkennt auch der Geist, vom geistigen Atman umschlungen, nichts mehr, was immer es auch sei, außen oder innen. Dies ist der Zustand, in dem das Verlangen erfüllt ist, in dem man nur nach dem Atman verlangt, in dem nicht verlangt; der Zustand, der jenseits des Leidens ist. Hier ist der Vater nicht der Vater, ist die Mutter nicht die Mutter, sind die Welten nicht Welten, sind die Götter nicht Götter, sind die Veden nicht Veden. Hier ist der Dieb nicht Dieb, ist der Abtreiber nicht Abtreiber, ist der Asket nicht Asket. Ihm folgt nicht das Gute, ihm folgt nicht das Böse. Er ist so jenseits aller Leiden des Herzens. Dieses Wesen, das nicht sieht, ist ein Seher, der nicht sieht...Dieses Wesen, das nicht erkennt, ist ein Erkennen, der nicht erkennt…
Da, wo etwas anderes ist, da kann das eine das andere sehen, das andere spüren, das andere schmecken, das andere sagen, das andere hören, das andere vorstellen, das andere berühren, das andere erkennen. Zwischen den Wassern ist ein einziges Wesen, ein Seher ohne Gegenstand, das ist die Welt des Brahman. Das ist der höchste Weg, die höchste Welt, die höchste Glückseligkeit. Die anderen Wesen leben von einem Körnchen dieser Glückseligkeit"
Simone Weil (1909-1943)
Cahiers/Aufzeichnungen (1. Band)
zitiert nach: Wolfgang W.Müller, Simone Weil: theologische Splitter, Theologischer Verlag Zürich, S. 108-109

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