Montag, 16. April 2012

Der lebendige Strom des göttlichen Bewusstseins



Das göttliche Bewusstsein ist ein lebendiger Strom, der nicht im engen Gefäss eines “Ich” gefangen werden kann, denn seine Natur ist die endlose Bewegung des Fliessens. Das gewöhnliche Bewusstsein jedoch beschränkt sich auf den engen Kreis zeitlicher Ziele und Wünsche, so dass der grosse Fluss gehemmt und abgelenkt und seine Energie vergeudet wird. Wenn das Individuum  auf diese Weise seine Beziehung zum universellen Zentrum verliert und versucht, seine beschränkte Persönlichkeit zum Mittelpunkt zu machen, indem es sich an seine augenblickliche Daseinsform klammert, wird die Illusion einer unwandelbaren, separaten “Ichheit” geschaffen, die sich dem Fluss des Lebens entgegenstemmt. Das Heilmittel hierfür ist nicht die Unterdrückung der Individualität (was nur das entgegengesetzte Extrem wäre), sondern die Erkenntnis, dass Individualität nicht dasselbe ist wie “Ichheit” und dass Wechsel als eine natürliche und notwendige Bedingung allen Lebens, weder willkürlich noch sinnlos ist, sondern auf Grund einer innewohnenden und universellen Gesetzmässigkeit vor sich geht.


Alles was die unendliche Bewegung des Geistes zu hindern, aufzuhalten oder einzuschränken versucht, ist Unwissenheit – gleichgültig, ob sie durch begriffliches Denken, Begierden oder Verhaftungen verursacht wird. Ruhe aber bedeutet nicht Stillstand, sie bedeutet nicht das Anhalten des Denkens, sondern besteht in der Nicht-Behinderung des Bewusstseinsstroms durch künstliche Begriffe und selbstisches Wollen oder durch Unterbrechung des natürlichen Flusses durch Sezierung seiner Bewegungen in isolierte Phasen, in dem zwecklosen Versuch, seine Natur zu analysieren. Dies soll nicht bedeuten, dass wir alles begriffliche Denken aufgeben sollen – was eine Unmöglichkeit ist – sondern nur dass wir uns nicht in ihm verstricken, nicht zu seinem Sklaven werden sollen.




Lama Anagarika Govinda

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