Sonntag, 3. Februar 2013

Dein Sehen, Herr, ist Lieben


  
  Dein Sehen, Herr, ist Lieben, und wie Dein Blick mich so aufmerksam betrachtet, dass er sich nie von mir abwendet, so auch Deine Liebe. Und weil Deine Liebe immer mit mir und sie nichts anderes ist als Du selbst, der mich liebt, darum bis Du immer mit mir, Herr, Du verläßt mich nicht. Von allen Seiten behütest Du mich, weil Du aufmerksamst Sorge für mich trägst. Dein Sohn, Herr, verläßt mein Sein nicht. Soweit Du mit mir bist, soweit bin ich. Und da Dein Sehen Dein Sein ist, bin ich also, weil Du mich anblickst.
  Wendest Du Dein Antlitz von mir, so würde ich in keiner Weise weiter bestehen. Aber ich weiß, dass Dein Blick jene größte Güte ist, die nicht anders kann, als sich jedem Aufnahmefähigen mitzuteilen. Darum kannst Du mich nie verlasssen, solange ich fähig bin, Dich aufzunehmen. An mir also liegt es, soviel ich nur vermag, mich immer empfänglicher für Dich zu machen. Ich weiß aber, dass diese Aufnahmefähigkeit, diese Vereinigung gewährt, nichts ist als Ähnlichkeit. Die Unfähigkeit aber stammt aus Unähnlichkeit. Wenn ich mich also in jeder nur möglichen Weise Deiner Gutheit ähnlich gemacht habe, werde ich gemäß dem Grad dieser Ähnlichkeit die Wahrheit empfangen können.

Nikolaus von Kues

aus: Vom Sehen Gottes (De visione Dei), Kapitel 3 




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen