Montag, 4. November 2013

Mit einer demütigen Regung der Liebe


Erhebe dein Herz zu Gott mit einer demütigen Regung der Liebe; meine Gott selbst und keine Seiner Eigenschaften. Empfinde einen Widerwillen davor, an irgend etwas außer an Ihn zu denken, auf dass nichts in deinem Verstande und in deinem Willen wirke als allein Er selbst. Bemühe dich nach Kräften, alle von Gott je erschaffenen Lebewesen mitsamt ihren Werken zu vergessen, damit dein Dichten und Trachten auf keines von ihnen gerichtet sei oder nach ihnen verlange, weder im allgemeinen noch im besonderen. Lass sie in Ruhe und beachte sie nicht. Dies ist das Werk der Seele, das Gott am besten gefällt ... Allen Menschen auf der Erde ist dieses Werk eine wundersame Hilfe, auch wenn du nicht weißt, warum...
Und kein anderes Werk reinigt dich selbst so sehr und macht dich so lauter wie dieses. Dabei ist es von allen das leichteste und am schnellsten zu vollbringende Werk, wenn durch Gnade in der Seele ein spürbares Verlangen entsteht; ohne Gnade freilich ist es für dich zu hart und zu schwer. Gib also nicht auf, sondern gib dir solange Mühe damit, bis du Verlangen danach empfindest. Denn zu Beginn deiner Übung bemerkst du nichts als eine Finsternis, sozusagen eine Wolke des Nichtwissens, genau weißt du nicht, was das ist, außer dass du in deinem Willen ein von allem entblößtes Verlangen nach Gott spürst. Du magst dich bemühen wie du willst, dennoch bleiben diese Dunkelheit und diese Wolke zwischen dir und deinem Gott und hindern dich, Ihn mit dem Lichte deiner geistigen Verstandeskraft in deiner Vernunft deutlich zu erkennen oder in seliger Liebe in deinem Herzen zu spüren. Mache dich deshalb bereit, in dieser Dunkelheit solange wie möglich zu verweilen und immerfort nach dem, den du liebst, zu rufen; denn wenn du Ihn je fühlen oder sehen können wirst, sofern dies hienieden möglich ist, so kann dies doch immer nur in jener Wolke und Dunkelheit geschehen. Wenn du dich indes eifrig in diesem Werk bemühst, so wie ich es dir rate, glaube ich wohl, dass Gott in Seiner Gnade dir diese erwähnte Schau gewährt.



Die Wolke des Nichtwissens  (Kapitel 3)
(Ende des 14. Jahrhunderts)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen