Montag, 4. November 2013

Das "Nichts" - eine Interpretation von Meister Eckhart


In der Predigt 71 interpretiert Meister Eckhart das Wort aus der Apostelgeschichte (9,8) " Paulus stand auf von der Erde und mit offenen Augen sah er nichts" 

" Mich dünkt, dass das Wörtlein nihil (nichts) vielfachen Sinn habe. Der eine Sinn ist dieser: als er aufstand von der Erde, sah er mit offenen Augen nichts, und dieses Nichts war Gott…Der zweite: als er aufstand, da sah er nichts als Gott. Der dritte: in allen Dingen sah er nichts als Gott. Der Vierte: als er Gott sah, da sah er alle Dinge als ein Nichts…
Siehst du irgendetwas oder fällt irgendetwas in dein Erkennen, so ist das Gott nicht. Eben deshalb nicht, weil er weder dies noch das ist. Wer sagt, Gott sei hier oder dort, dem glaubet nicht… Wenn die Seele in das Eine kommt und darin eintritt in eine lautere Verwerfung ihrer selbst, so findet sie dort Gott als in einem Nichts.
Es deuchte einem Menschen wie in einem Traum - es war ein Wachtraum-, er würde schwanger vom Nichts wie eine Frau mit einem Kind, und in diesem Nichts ward Gott geboren. Der war die Frucht des Nichts: Gott ward geboren. Daher heißt es in der Apostelgeschichte:"Paulus stand auf von der Erde und mit offenen Augen sah er nichts".

Meister Eckhart

zitiert nach: Niklaus Brantschen SJ,Pia Gyger,Bernhard Stappel, 

Via integralis. Wo Zen und christliche Mystik sich begegnen: Ein Übungsweg ..., Kösel-Verlag



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