Sonntag, 20. Januar 2019

Sieben Grade des schauenden Lebens: Erkenntnis in 7 Schritten




Es gibt sieben Grade des schauenden Lebens. Wer sich im schauenden Leben üben will, der suche eine heimliche Stätte auf und denke zuerst daran, wie edel seine Seele ist, dass sie unmittelbar von Gott ausgeflossen ist, und darüber soll er in eine grosse Freude kommen.


Zum anderen, wenn er dies wohl betrachtet hat, soll er bedenken, wie Gott seine Seele geliebt hat, dass er sie nach dem Bilde der Dreifaltigkeit schuf und dass sie all das aus Gnade werden kann, was Gott von Natur ist. Darüber muss der Mensch notwendigerweise in eine noch grössere Freude fallen, denn es ist viel adliger, dass wir nach dem Bilde der Dreifaltigkeit geschaffen sind, als unmittelbar von Gott ausgegangen.


Zum dritten soll der Mensch darauf verweilen, dass er ewig von Gott geliebt worden ist, denn so wie die Dreifaltigkeit ewig gewesen ist, so hat Gott den Menschen ewig geliebt.


Zum vierten soll der Mensch sich bewusst werden, dass ihn Gott ewig dazu eingeladen hat, dasselbe mit ihm zu geniessen, was Gott ewig genossen hat und immer mehr geniessen soll, das ist Gott selbst.


Zum fünften soll der Mensch in sich selbst eingehen und Gott in sich selbst erkennen. Das geschieht auf diese Weise: Wesen kann nicht ohne Wesen sein. Wesen wird durch Wesen gespeist. Kein Wesen kann von einer Speise ernährt werden, bevor sich die Speise in die wohl geordnete Natur dessen verwandelt hat, der ernährt werden soll. Das kann nur von einem Wesen geschehen, das selber Wesen ist. Es hat aber nichts aus sich selber Wesen als Gott. Darum kann meine Seele von nichts gespeist werden als von Gott. Wenn der Mensch in dieser Weise in sich eingeht, so findet er Gott in sich selbst. Will Gott, dass ich siege, so muss er mir Wesen geben. Kein Wesen kann ohne Gott bestehen. Will er also, dass ich Wesen habe, so muss er sich mir selber geben.


Zum sechsten soll die Seele sich selbst in Gott erkennen. Das geschieht in dieser Weise: Alles, was in Gott ist, ist Gott. Da mein Bild ewig in Gott gewesen ist, wie es noch ist und immer sein muss, darum ist meine Seele ewig eins mit Gott gewesen und ist Gott. Und so finde ich mich in Gott in so hoher Weise stehen, dass ich ewig Gott in Gott gewesen bin. Dies bringt dem Menschen, der sich darin üben kann, eine solche Freude, wie er sie keinem beschreiben kann.

Zum siebenten soll der Mensch Gott in sich selbst erkennen als den Anfangslosen, aus dem alles ausgeflossen ist. Diese Erkenntnis kann in diesem Leben niemandem gänzlich zuteil werden. Das liegt an der Schau göttlichen Seins, die sich hier nicht ereignen kann.




Meister Eckhard



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen